(c) Luiza Puiu

(c) Luiza Puiu

In einem internationalen Forschungsprojekt setzen sich Forscher*innen des Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib), der Universität für Bodenkultur Wien und des amerikanischen Biotechunternehmens Tonix Pharmaceuticals zum Ziel, ein neues Verfahren zur Herstellung von Antikörpern in Pflanzen zu etablieren, welches schneller, kostengünstiger und nachhaltiger als derzeitige Produktionswege ist. Sind klinische Studien erfolgreich, stehen die Chancen gut, dass diese Antikörper zukünftig in der Medizin für Impfstoffe und Medikamente gegen Corona und weitere Viruserkrankungen eingesetzt werden könnten.

Wien – Aufgrund des Bevölkerungswachstums und der modernen Lebensweise ist ein genereller Anstieg viraler Infektionen und deren nie dagewesene Verbreitung zu beobachten. Die Medizin steht vor der Aufgabe, immer rascher Impfstoffe und Medikamente – allen voran Antikörper – bereitzustellen. „Eine große Herausforderung“ weiß Herta Steinkellner, Professorin am Institut für Pflanzenbiotechnologie und Zellbiologie an der Universität für Bodenkultur Wien und Key-Researcherin am Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib). „Die derzeit weltweit dominante Herstellungsmethode von Antikörpern benötigt lebende Zellen, meist Säugetier- oder menschliche Zellen“, erklärt Steinkellner. Diese Produkte werden in Industrie-Fermentoren hergestellt, welche unter sterilen Bedingungen laufen. Das macht die Herstellung von Antikörpern bisher kosten- und zeitintensiv, wodurch Produkte sehr teuer werden.“

Pharmazeutika, in Pflanzen hergestellt

Unter der Leitung von Herta Steinkellner hat ein Team der BOKU Wien und des acib ein spezielles, biotechnologisches Verfahren etabliert, das auf Proteinen basierende Pharmazieprodukte in Pflanzen herstellen kann. „Betrachten wir die molekularen Abläufe in einer menschlichen, Säugetier- oder Pflanzenzelle, fällt auf, dass viele dieser Vorgänge einander ähneln. Das hat damit zu tun, dass sich alle Organismen aus einer Ur-Zelle heraus entwickelt haben. “Dieses Phänomen nützen wir in unserem Prozessansatz“, so Steinkellner. Indem die Forscher*innen diese Zellabläufe gezielt steuern und verändern, können komplexe Produkte, die normalerweise nur in tierischen und menschlichen Zellen erzeugt werden, nun in Pflanzen hergestellt werden. Das Verfahren, an dem Steinkellner mit ihrem Team schon seit Jahrzehnten arbeitet, bietet einige Vorteile: Es ist kostengünstiger sowie schneller und hat das Potenzial, den Herstellungsprozess vieler Pharmazeutika umweltfreundlicher zu gestalten.

Raffiniertere Antikörper gegen SARS-CoV-2-Viren

Gleichzeitig hat Steinkellner ihre Expertise in einem weiteren Forschungsbereich in den neuen Herstellungsprozess eingebracht: die Produktion von Antikörpern. Durch die Verschränkung der Pflanzenbiotechnologie mit dem Antikörper-Engineering können die Forscher*innen immer raffiniertere, auf Antikörper basierende Produkte herstellen. Dies stellten sie und ihr Team während der Corona-Pandemie unter Beweis – und wurden nicht nur im Rahmen der Forschungscommunity international dafür gefeiert: „Es ist uns gelungen, mit zahlreichen Engineering-Methoden hochaktive Varianten von SARS-CoV-2-Antikörper in Pflanzen herstellen“, so Steinkellner.  Auf die aufsehenerregenden Ergebnisse wurde schließlich die Biotechnologiefirma Tonix mit Hauptsitz in den USA aufmerksam. „Tonix, die in ihren Laboren Coronavirus-Antikörper entwickeln, haben uns ein interessantes Kooperationsprojekt vorgeschlagen, nämlich ihre neu entwickelten Antikörper mit unserem neuen Herstellungssystem in einer modifizierten Weise herzustellen“, erklärt Steinkellner den Hintergrund des neuen acib-Projekts.

Verbessertes Produktionsverfahren für effizientere Produkte

Das Forschungsvorhaben wird von zwei Säulen getragen: Einerseits die Optimierung des Herstellungsverfahrens und andererseits die Modifizierung der Produkte selbst, eben jene Ziel-Antikörper. „Dabei verwenden wir molekulares Bioengineering, um neue Funktionalitäten in fremde Arten einzuschleusen. Dazu engineeren wir sowohl den Produktionswirt – die Pflanzen – als auch das finale Produkt – die Antikörper. Beides zusammen verleiht dem finalen Produkt veränderte, optimierte Eigenschaften“, so Steinkellner. Welche Pflanzen kommen dabei zum Einsatz? „Da wir eine große Menge an Biomasse benötigen, verwenden wir eine Tabakpflanze namens Nicotiana benthamia.“ Die Forscher*innen infiltrieren die Pflanzenblätter mit einer Suspension, in der die Antikörper-Gen-Vehikel enthalten sind. Danach schaltet die zelluläre Maschinerie der Pflanze auf Antikörper-Produktion um. Fast wie bei der Tabakernte werden die Blätter – bereits nach zirka einer Woche – geerntet. „Mit dem Unterschied, dass wir unsere Produkte in mehreren Schritten herausreinigen“, erklärt Steinkellner, die weiter ausführt: „Die hochreinen Antikörper werden schließlich an der BOKU biochemischen- und bei Projektpartner Tonix u.a. funktionellen Analysen unterzogen.“

Schnellstes und nachhaltigstes Produktionsverfahren für Pharmazeutika gegen Viruserkrankungen

Durch die Produktion in Pflanzen kann die Produktionszeit von Antikörpern– wie in diesem Fall gegen Coronaviren – im Gegensatz zu herkömmlichen Verfahren, die mehrere Monate benötigten, auf nur wenige Wochen verkürzt werden. „So eine Geschwindigkeit ist mit keinem anderen System bislang möglich und ebenso in puncto Nachhaltigkeit unerreicht“, gibt Steinkellner die Signifikanz der auf Pflanzen basierenden Methode wieder: „Pflanzen brauchen lediglich Wasser, einige Mineralien und Licht für ihr Wachstum.“

Auf die Frage, ob das System breit anwendbar ist, antwortet Steinkellner: „Auf Antikörper basierende Produkte sind eine Erfolgsgeschichte der biopharmazeutischen Industrie. Das ist vor allem ihrer vielfältigen Anwendung geschuldet, die Vakzine, Therapeutika und Diagnoseverfahren beinhalten“. Ob aus dem vorliegenden Projekt ein marktreifes Produkt entsteht, lässt sich zurzeit nicht vorhersagen. Den Foscher*innen zufolge stehen die Chancen jedoch gut. Steinkellner: „Im Normalfall braucht es allerdings mehrere Jahre, um vor allem die langwierigen – aber notwendigen – klinischen Studien abzuschließen.“

Fotos unter Angabe der Credits „Luiza Puiu“ kostenfrei zur Nutzung: https://myshare.acib.at/s/HYPdNfzeBSfnY8D

Über acib

Das 2010 gegründete Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib) entwickelt neue, umweltfreundlichere und ökonomischere Prozesse für die Biotech-, Chemie- und Pharmaindustrie und verwendet dafür die Methoden der Natur als Vorbild. Das internationale Forschungszentrum für industrielle Biotechnologie ist eine Non-Profit-Organisation mit weltweiten Standorten und Hauptsitz in Graz. acib versteht sich als Partnerschaft von 150+ Universitäten und Unternehmen. acib-Eigentümer sind die Universität Graz, die Technische Universität Graz, die BOKU Wien sowie Joanneum Research. Gefördert wird das K2-Zentrum im Rahmen des COMET-Programms durch das BMK, BMAW sowie die Länder Steiermark, Wien, Niederösterreich und Tirol. Das COMET-Programm wird durch die FFG abgewickelt. www.acib.at

Über die BOKU

Die Universität für Bodenkultur Wien ist mit 2.200 Wissenschaftler*innen sowie mehr als 10.000 Studierenden eine der führenden Life Sciences-Universitäten Europas. Dank der Verknüpfung von Naturwissenschaften, Technik sowie Sozial- und Wirtschaftswissenschaften zeichnen sich Forschung und Lehre durch eine ganzheitliche Herangehensweise an Problemstellungen aus. Nachhaltigkeit, Klimafolgen, Ressourcenknappheit, Umweltschutz, Ernährungs- und Gesundheitssicherheit: Die Herausforderungen und Probleme unserer Zeit sind in vielfacher Weise miteinander verbunden und lassen sich nur auf inter- und transdisziplinäre Weise lösen. Die BOKU unterhält weltweit 18 Abkommen in Form von Netzwerkmitgliedschaften und rund 360 multi- und bilaterale Partnerschaften mit Universitäten und Forschungseinrichtungen und ist Teil der European University EPICUR. www.boku.ac.at.

Über Tonix

Tonix ist ein US-amerikanisches biopharmazeutisches Unternehmen, welches sich auf die Vermarktung, Entwicklung, Entdeckung und Lizenzierung von Therapeutika zur Behandlung und Vorbeugung von Erkrankungen des menschlichen Nervensystems spezialisiert. Das vorrangige Ziel von Tonix ist die Einreichung eines Antrags auf Zulassung eines neuen Medikaments (New Drug Application - NDA) bei der FDA für Tonmya, das zwei positive Phase-3-Studien für die Behandlung von Fibromyalgie abgeschlossen hat. Die Portfolien von Tonix umfassen Produktkandidaten in den Bereichen Immunologie, seltene Krankheiten und Infektionskrankheiten, Biologika zur Behandlung von Organtransplantationsabstoßung, Autoimmunität und Krebs, verschiedene Therapeutika zur Behandlung seltener genetischer Erkrankungen und eine Lebendvirus-Impfstoffplattform gegen Infektionskrankheiten. https://www.tonixpharma.com

Rückfragehinweise 

Ao.Univ.Prof. Mag.rer.nat. Dr.nat.techn. Herta Steinkellner
acib Key-Researcherin und Forscherin am Institut für Pflanzenbiotechnologie und Zellbiologie (BOKU Wien)
Tel.: +43 1 47654-94370
Mail: herta.steinkellner(at)boku.ac.at

Unternehmenskontakt

Ben Shannon
ICR Westwicke
ben.shannon@westwicke.com
443-213-0495

Pressekontakt

Martin Walpot, MA
Head of Public Relations and Marketing (acib GmbH)
T: +43 316 873 9312
E-Mail: martin.walpot(at)acib.at

Bettina Fernsebner-Kokert, BA
Universität für Bodenkultur Wien
Stellv. Leitung Öffentlichkeitsarbeit
T.: +43 1 47654-10424
Mail: bettina.fernsebner(at)boku.ac.at