Die LTS startet in das Wintersemester 2016/17!  Schon im zweiten Semester organisiert Univ.-Prof. Iris Eisenberger vom Institut für Rechtswissenschaften an der Universität für Bodenkultur Wien gemeinsam mit Univ.-Prof. Dr. Konrad Lachmayer, Professor für Öffentlichen Recht an der Sigmund Freud Privatuniversität die Lunch Time Series on Law, Technology and Society (LTS). 

 

Völkerrechtliche Antworten auf klimabedingte Migration

27.10.2016 Klimaflucht entwickelt sich zu einem immer drängenderen Problem für die Staatengemeinschaft. Versalzte Böden, Ernteausfälle oder drohende Überflutungen von ganzen Landstrichen und Inseln wirken sich bereits jetzt massiv auf die Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen aus. Betroffene sind oft gezwungen zu fliehen. Verantwortlich dafür ist meist ein Bündel an Problemen, darunter auch mangelnde Infrastruktur oder mangelnde Arbeitsaussichten. Der Klimawandel erschwert derartige Ausgangssituationen zusätzlich. Der Klimawandel ist mittlerweile auch in den Gerichtssälen angekommen. Ein Urteil des neuseeländischen Supreme Court sorgte weltweit für Aufsehen: Ein Mann hatte seine Heimat, Kiribati, aufgrund des steigenden Meeresspiegels verlassen. In Neuseeland versuchte er, als erster Klimaflüchtling anerkannt zu werden. Das Gericht entschied, dass der Mann kein Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) sei. Er musste Neuseeland verlassen und in seine Heimat zurückkehren. Die GFK schützt Menschen, die aufgrund begründeter Furcht vor Verfolgung durch menschliches bzw. staatliches Verhalten fliehen. Ist es überhaupt treffend von "Klimaflucht" und "Klimaflüchtlingen" zu sprechen? Es lässt sich zwar argumentieren, dass der Klimawandel vom Menschen mitverursacht ist. Fraglich ist allerdings, wie ein schädigendes Verhalten einem konkreten Staat zurechenbar sein soll. Losgelöst von der Begrifflichkeit der GFK, erscheint die Bezeichnung "Klimaflüchtling" dennoch passend. Wenn Menschen ihre Heimat verlassen, um sich vor Bedrohungen in Sicherheit zu bringen, dann kann man dies, so Prof. Hanschel, nur als Flucht bezeichnen. Das Völkerrecht adressiert "Klimaflucht" derzeit nicht ausreichend. Mittel- und langfristig sieht Prof. Hanschel die Lösung in einer Kombination menschenrechtlicher und umweltvölkerrechtlicher Instrumente. So bieten etwa das Recht auf Leben, Nahrung, Wasser und Gesundheit einen individuellen menschenrechtlichen Schutzstandard. Zusätzlich wäre ein eigenes Klimafluchtprotokoll vonnöten, das Klimaflüchtlinge anerkennt, schützt und wiederansiedelt. Dafür müssten die Staaten finanzielle Mittel zur Verfügung stellen und grenzüberschreitende Hilfe leisten. Die völkerrechtlichen Regeln für dieses Regime könnten in den Verhandlungen zur UN-Klimarahmenkonvention ausgearbeitet werden. Die ZuhörerInnen fragten schließlich, ob die UN-Klimaverhandlungen der geeignete Ort für Klimaflucht-Diskussionen seien. Prof. Hanschel hält den Rahmen vor allem deshalb für passend, weil es sich um ein bereits etabliertes System regelmäßiger Treffen handelt. Der dort vorhandene politische Druck könnte auch leichter zu Ergebnissen führen. Lisa Hartlieb/Lisa Müllner, 27.10.2016

Advancing the social pillar of sustainability: Insights from the natural resources sector

17.11.2016 As a part of the “LunchTimeSeries on Law, Technology and Society” (LTS), Dr. William Nikolakis gave a lecture on the social pillar of sustainability from a natural resources perspective on 17 November 2016. This highly interesting, recent and interdisciplinary topic could not have fit any better into an auditorium at the University of Natural Resources and Life Sciences, Vienna.

Nikolakis was born in Australia and now lives in Vancouver (Canada) where he works as a Research Fellow at the University of British Columbia (UBC). He specializes in Sustainability Management and (amongst others) advises Aboriginal collectives, governments and corporations on policy and business issues.

In his lecture on social aspects of sustainability, Nikolakis focused on the Canadian situation: an area the size of almost ten million km², of which 90 per cent is owned by the Crown; ten provinces, each of them having the right to decide over the use of natural resources within their borders; 175 billion barrels of crude petroleum reserves; oil sand deposits almost twice the size of Austria, the mined area being larger than the city of Vienna; exports worth 231 billion dollars and 1.77 million jobs that are associated with natural resources (2015). Needless to say, natural resources in Canada are big.

But so are the challenges that come along with the cumulative impacts from these activities: There are approximately 1.84 million Indigenous People in Canada (2011) and numerous unresolved land claims. Such non-market aspects like spiritual and cultural values tend to be ignored in the decision making process. This is why the social pillar of sustainability is often perceived to be less attractive than the economic and environmental pillar.

The Indigenous Peoples of Canada – First Nations, Inuit and Metis people – had had sovereignty prior to European colonization, in the course of which they were subjects of the Crown. The application of the terra nullius (“nobody’s land”) doctrine was part of the colonial paradigm, which characterizes long phases of the relationship between Indigenous Peoples and the Natural Resources Sector represented by the Canadian Government.

Since then, Indigenous People have been granted more rights little by little, with the Calder Decision 1973, the Constitution Act 1982 and the United Nations Declaration on the Rights of Indigenous Peoples (UNDRIP) 2007 representing the most important milestones. Moreover, further steps in the right direction have been taken under the first year of the Trudeau-Administration.

The goal – a culture of communication that seeks free, prior and informed consent (FPIC) and accepts rather than bypasses objection – may be in sight, but has yet to be reached.

Thomas Buocz/Annemarie Hofer

 

The given presentation can be found here: William Nikolakis, Advancing the social pillar of sustainability: Insights from the natural resources sector

Industrie 4.0 und Robotik: Rechtliche Herausforderungen

16.12.2016 Mit einem spannenden Vortrag über „Industrie 4.0 und Robotik: Rechtliche Herausforderungen“ verabschiedete Prof. Dr. Indra Spiecker gen. Döhmann, LL.M. unsere Lunch Time Series in die Weihnachtsferien. Indra Spiecker ist Professorin für Öffentliches Recht, Informationsrecht, Umweltrecht und Verwaltungswissenschaft an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Anhand des Gesundheitswesens sprach sie über rechtliche Herausforderungen der Industrie 4.0. „Was versteht man unter Industrie 4.0 und Robotik?“ Mit dieser Frage beginnt Prof. Spiecker ihren Vortrag und stellt sogleich klar, dass diese beiden Gebiete mittlerweile miteinander verschmelzen. Industrie 4.0 ist heute mehr als die Digitalisierung von Fertigungshallen oder Logistikzentren. Es ist ein Schlagwort für automatisierte, vernetzte und selbstlernende Systeme.

Prof. Spiecker illustriert dies mit den technologischen Entwicklungen im Bereich des Gesundheitswesens. Fundamental neue Möglichkeiten gibt es etwa in der Operations- und Diagnosetechnik oder in der integrierten Prothetik, Gehirn- und Organstimulation. Ein weiterer Anwendungsbereich ist die Tele-Medizin, eine medizinische Versorgungsperspektive für entvölkerte Gebiete.

Die vielfältigen Potenziale werfen neue Problemstellungen auf. Die umfangreiche Vernetzung gestaltet es nahezu unmöglich, Computersysteme vor Angriffen zu schützen. Prof. Spiecker verdeutlicht dies anhand des folgenden Bedrohungsszenarios: Hacker dringen während einer Herzoperation in die Operationssoftware ein, der Operationscomputer und die Geräte fallen aus und auf dem Bildschirm erscheint eine Lösegeldforderung. Die Operationssoftware werde freigegeben, sobald die Summe anonym mit Bitcoin bezahlt ist. In dieser Situation hätten die Beteiligten keine Wahl, als der Forderung nachzukommen.

Industrie 4.0 drängt auch individuelle Entscheidungsspielräume zurück. Man denke nur an selbstfahrende Fahrzeuge, bei denen standardisierte Systeme menschliche Entscheidungen ersetzen. Hier stellt sich zusätzlich die Frage der Verantwortlichkeit bei Fehlentscheidungen.

Abschließend stellt Prof. Spiecker mögliche Lösungsansätze vor: Für die Gewährleistung von Datensicherheit wäre ein Schritt zurück zu getrennten Systemen hilfreich. Durch separate Systeme wären weniger Daten von erfolgreichen Hackerangriffen betroffen. Allerdings gehen so die Vorteile der umfangreichen Vernetzung verloren. Systemtrennung würde aber gleichzeitig mehr Autonomie und Kontrolle gewährleisten, weil Nutzer keinem völlig unbeherrschbaren offenen System mehr gegenüberstünden. Ein weiterer Ansatz ist, demokratische Mindeststandards festzulegen. Mit anderen Worten soll der Gesetzgeber normativ eingreifen und regeln, was technisch gewollt ist. Das ist der Europäischen Union bereits im Datenschutzrecht mit der neuen Datenschutzgrundverordnung gelungen. Mit dem Konzept „privacy by design“ legt sie fest, dass Technik die bei Datenverarbeitungsprozessen zum Einsatz kommt, datenschutzrechtskonform zu konstruieren ist. Durch solche antizipierenden Regulierungsansätze könnte der Europäischen Union ebenso bei Industrie 4.0 eine wichtige Vorreiterrolle zukommen.

Das Publikum griff dies in der anschließenden Diskussion nochmals auf: Hinkt das Recht technologischer Innovation nicht notwendig hinterher? Prof. Spiecker erläuterte daraufhin exemplarisch den Kerngedanken von „privacy by design“. Der Gesetzgeber greift möglichst früh in den Entwicklungsprozess ein. Mögliche Reibungen mit dem Datenschutzrecht sollen von vorneherein nicht entstehen können. Das Beispiel zeige, dass es möglich ist, antizipierende Regelungsinstrumente zu erarbeiten. Prof. Spiecker schloss ihren Vortrag mit einem Hinweis an den Gesetzgeber: „Die Zeit vergeht schnell und die IT ist noch schneller!“. Stefan Steininger

AlgorithmWatch: Was gibt's denn da zu sehen?

25.01.2017

In der letzten Ausgabe der Lunch Time Series des Wintersemesters 2016/17 sprach Matthias Spielkamp, über Potentiale und Risiken des Einsatzes von Algorithmen. Matthias Spielkamp ist Journalist und Herausgeber des Online-Magazins iRights.info sowie Gründungsmitglied von AlgorithmWatch. AlgorithmWatch ist eine im Jahr 2016 gegründete, nicht-kommerzielle Initiative. Das Projekt erforscht Algorithmen in verschiedensten Lebensbereichen. Das Manifest der Initiative unterstreicht, dass der Einsatz automatisierter Entscheidungsfindungsprozesse immer häufiger erfolgt. Ziel ist es, Prozesse algorithmischer Entscheidungsfindung transparenter und für den Einzelnen nachvollziehbarer zu gestalten.

Obwohl viele Menschen „selbstdenkende“ Systeme als neue Phänomene wahrnehmen, sind diese schon seit Jahrzehnten Teil unseres Alltags. Beispielsweise Navigationssysteme, Spamfilter oder Autopiloten in Flugzeugen nutzen algorithmengesteuerte Programme. Neuartige Technologien sind oft umstritten, dennoch ist deren Einsatz in vielen Bereichen anerkannt. Lehnte die Gesellschaft solche Systeme grundsätzlich ab, blieben einige – schon erlangte – Vorteile ungenutzt. 

Algorithmenbasierte Systeme bieten viele Chancen: Daten werden schneller verarbeitet und Entscheidungen effizienter und mitunter gerechter und fairer getroffen. Zudem steigert sich die Sicherheit, da „menschliches Versagen“ vermieden wird. Damit unserer Gesellschaft diese Vorteile nutzen kann, muss jedermann den Entstehungs- und Anwendungsprozesse von Algorithmen einsehen können. Einerseits schafft Transparenz höhere Akzeptanz, andererseits müssten Entwickler „unfaire“ oder unrechtmäßige Kriterien offenlegen.

Da Maschinen bzw Programme entscheiden, wird oft angenommen, dass diese Entscheidungen neutral seien. Aber auch bei der Programmierung von Algorithmen fließen Werte ein. Als potentiell gefährliche Algorithmen nennt Matthias Spielkamp Systeme zur automatisierten Grenzkontrolle, Risikoprognosen bei StraftäterInnen oder Algorithmen zur regionalen Verbrechensvorhersage. In einigen Fällen verwenden diese Algorithmen persönliche Daten, wie Hautfarbe, Geschlecht oder ethnische Herkunft für ihre Entscheidungsfindung. Derartige Daten stellen ein besonders großes Diskriminierungsrisiko dar.

Da Algorithmen in vielen Bereichen des alltäglichen Lebens Entscheidungsprozesse übernehmen, beeinflussen sie die Bevölkerung signifikant. Daher ist es besonders wichtig, demokratische Mitbestimmung bei deren Entwicklung zu ermöglichen. Um dies zu erreichen, sollten algorithmengesteuerte Prozesse transparent gestaltet werden. Dazu muss insbesondere ersichtlich sein, welche Daten als Entscheidungsgrundlage dienen.

Wie unterschiedlich die aufkommenden Fragestellungen sind, zeigte die anschließende Diskussion. Neben datenschutzrechtlichen, gab es vor allem auch gesellschaftspolitische und technische Fragen, was für Matthias Spielkamp die Notwendigkeit interdisziplinärer Zusammenarbeit verdeutlichte.

 

Paula Resch